Bild von Sandrine Nicolic am Flughafen
 

Wenn der Lohnschutz am Gate endet – Zürich macht’s möglich

Artikel

Gewerkschaftliche Gedanken

In Zürich ist ein Entscheid gefallen, der weit über die Luftfahrt hinausweist. Arbeitgeber rekurrierten bei der Verwaltung gegen deren Entscheid, das in Zürich stationierte AirBaltic Personal dem Entsendegesetz zu unterstellen. Die Volkswirtschaftsdirektion hat anschliessend entschieden, die Verfügung zu den Anstellungsbedingungen bei AirBaltic aufzuheben, die das hauseigene Amt für Wirtschaft zuvor erlassen hatte. Das ist eine Umgehung der Gewaltenteilung und höchst problematisch. Zumal die an der Spitze der Volkswirtschaftsdirektion stehende Carmen-Walker Späh auch im Aufsichtsrat der Flughafen Zürich AG sitzt, was einen klaren Interessenkonflikt impliziert.

Das Resultat: Bei den AirBaltic-Crews, die Swiss-Flüge ab Zürich durchführen, verneinen die Behörden einen relevanten Schweiz-Bezug. Damit ist auch kein Schweizer Lohnschutz anzuwenden. Was juristisch klingt, ist in Wahrheit ein Frontalangriff auf den Kernauftrag unseres Lohnschutzsystems: Arbeitnehmende in der Schweiz vor Lohndumping und Ausbeutung zu schützen.

Denn die Realität sieht anders aus: Diese Crews starten und landen in Zürich, sie übernachten mehrere Tage hier, leisten Reserve-Dienste, folgen Swiss-Dienstplänen, arbeiten nach Swiss-Vorgaben – und doch sollen sie ausschliesslich auf Basis lettischer Arbeitsverträge entlöhnt werden – ohne dass der Schweizer Lohnschutz greift. Das ist Lohndumping in Reinform: Während der Anfangslohn als Flight Attendant bei Swiss 3’868 Franken Bruttobasislohn beträgt, erhält eine Junior Cabin Crew bei AirBaltic rund 1’050 Euro brutto – also nicht einmal ein Drittel. Damit werden nicht nur ausländische Crews ausgebeutet, sondern auch Schweizer Arbeitsplätze verdrängt.

Die Behörden blenden aus, was längst dokumentiert ist: Layover-Listen, Hotelbuchungen, Reserve-Einsätze und Dienstpläne zeigen den engen Schweiz-Bezug. Selbst Kerosin wird über das Swiss-Portal bestellt. Wer das ignoriert, verschliesst die Augen vor der Realität.
Das Entsendegesetz ist nicht zufällig entstanden. Es ist ein zentrales Instrument, um sicherzustellen, dass für gleiche Arbeit am gleichen Ort auch der gleiche Lohn bezahlt wird. Mit seinem Vorgehen riskiert der Kanton Zürich nicht nur den Schutz der Arbeitnehmenden, sondern auch die Akzeptanz des freien Personenverkehrs insgesamt. Wenn der Lohnschutz nicht durchgesetzt wird, verliert das europäische Projekt seine Legitimität.

Die Betroffenen können sich nicht wehren. Wer mit einem lettischen Vertrag entsendet wird, hat kaum Möglichkeiten gegen einen Schweizer Kanton oder gegen den eigenen Arbeitgeber aufzutreten. Wer schlecht bezahlt ist, wird kein ein Risiko eingehen, sich juristisch zu exponieren. Und weder die lettische Gewerkschaft noch wir von der kapers wurden im Verfahren überhaupt angehört. Die Menschen, um die es geht, hatten keine Stimme. Damit präsentiert sich unser Staat nicht als Hüter von Rechten, sondern als Komplize bei der Ausbeutung von Arbeitnehmenden.

Wer jetzt bei AirBaltic die Augen verschliesst, riskiert, dass morgen andere Branchen dieselben Tricks anwenden. Es ist ein Lackmustest: Wollen wir einen Arbeitsmarkt, in dem die Regeln für alle gelten – oder akzeptieren wir, dass internationale Konzerne Sonderwege gehen, solange es billiger ist? Wenn wir Lohndumping im Luftverkehr durchwinken, wird das Signal klar verstanden: Grenzen sind durchlässig, Standards verhandelbar, Schutzrechte aushebelbar.

Wirtschaftlicher Druck wird oft vorgeschoben – doch er rechtfertigt niemals, fundamentale Rechte auszuhebeln. Wer hier arbeitet, muss nach hiesigen Standards geschützt sein – so simpel ist der Gedanke. Regeln dürfen nicht an der Flugzeugtür enden.

Gleiche Arbeit – gleicher Lohn – gleicher Schutz. Dafür wurden die flankierenden Massnahmen geschaffen. Jetzt müssen sie endlich durchgesetzt werden. Alles andere ist ein Verrat an den Grundprinzipien unseres schweizerischen Lohnschutzsystems – und ein gefährliches Signal an alle, die in der Schweiz arbeiten.

Sandrine Nikolic-Fuss, Präsidentin kapers – cabin crew union

Top