Alle Kunden sollen ihren Stromanbieter frei wählen können: Diese neoliberale Vision setzte die EU in den neunziger Jahren für ihre Mitglieder durch. Danach wurde auch der florierende Schweizer Strommarkt unter Druck gesetzt. Weil die Schweizer Stromwirtschaft mit dem Stromhandel und den Stausee-Wasserspeichern in Europa Milliardengewinne einfährt, fordert die EU den gleichberechtigten Zugang zum Schweizer Markt.
Bereits seit 2007 haben Grossbezüger, die mehr als 100 MWh pro Jahr verbrauchen, diesen Zugang zum freien Markt erhalten. Seither ist die internationale Konkurrenz in der Strombranche da: Kundenwechsel, ein Offertenkrieg im Herbst, Aufbau eigener Strombeschaffungsabteilungen bei Bezügern und Elektrizitätswerken. Dieses „Deal-Jagen“ hat nur zum Ausbau von Marketingabtei-lungen und der Einführung der Hard-Selling-Kultur geführt.
Die Elektrizitätswerke des Kantons Zürich (EKZ) haben aber laut Gesetz einen Grundversorgungsauftrag. Sie sollen den Kanton mit ökologischem, preisgünstigem und sicherem Strom versorgen. Mit der Strommarktöffnung und dem Aufbau einer eigenen Beschaffungsabteilung ist die EKZ zur Händlerin geworden. Dafür war doch laut NOK-Gründungsvertrag die Axpo bestimmt. Neuerdings konkurriert die Axpo sogar gegen die EKZ um den Endkunden. Selbst die verschiedenen Kantonswerke, bei denen einst eine Gebietszuteilung galt, konkurrieren gegeneinander. Zum Aufbau nationaler Verkaufskanäle werden kühne Schritte unternommen, um von den Hochpreisgebieten der Westschweiz zu profitieren.
Die zunehmende Konkurrenz ist eine logische und kohärente Folge der Strommarktöffnung. Meiner Meinung nach entfernen sich die Elektrizitätswerke mit diesem Verhalten jedoch vom Grundversorgungsauftrag. Es zählt vor allem der „quick buck“.
Um die CO2-Ziele zu erreichen soll gleichzeitig ein sinkender Stromverbrauch angestrebt werden. Der Anteil der erneuerbaren Energien muss erhöht werden, um den Umbau der Energiewirtschaft zu ermöglichen. Die gegenwärtige Energieschwemme wirkt dabei kontraproduktiv, da die Preise purzeln. Dies führt zur Erosion der Renditen und einer Verlangsamung der Investitionstätigkeit. Die Investitionsbereitschaft der Energiewerke, die einen Teil der Rendite in die öffentlichen Kassen fliessen lassen, ist stärker betroffen, als jene von Unternehmen, die der Öffentlichkeit nicht verpflichtet sind. Die erneuerbaren Energien sind die Leidtragenden. Mittelfristig geht diese Entwicklung auch zu Lasten der Arbeitnehmenden. Deshalb sind hier ein verbesserter Arbeitnehmerschutz und bindende GAVs längst fällig.
Aktuell will der Bundesrat den zweiten Liberalisierungsschritt mittels Bundesbeschluss durchsetzen. Nach den Grossbezügern soll nun auch der Kleinkunde auf die verheissungsvolle Reise der freien Wahl geschickt werden. Ähnlich der Telefonie und den Krankenkassen darf er dann sein Stromprodukt jedes Jahr neu prüfen.
Dieser Grundsatzentscheid ist referendumsfähig. Es ist korrekt, dass der Schweizerische Gewerkschaftsbund diese Option zieht. Die Bevölkerung soll mitreden, wenn es um die Grundver-sorgung geht. Denn Strom ist und bleibt ein Grundbedürfnis, dem Sorgen getragen werden muss.
Sabine Ziegler
Verwaltungsrätin EKZ, Friedensrichter-Kandidatin Zürich 1&2
<media 2676 - external-link-new-window>Der Artikel erschien im GBKZ-Rundbrief 1/2015</media> (download als PDF)