Allzu oft wird über Löhne ein Geheimnis gemacht. Viele Arbeitnehmende wissen nicht, was andere verdienen – und was sie eigentlich verdienen könnten. Die Arbeitgebenden sind besser informiert. Sie zahlen oft nicht nur einen, sondern mehrere Löhne. Ausserdem beauftragen sie Lohnberater und vergleichen die Löhne untereinander. Dieser Wissensvorsprung hilft Unternehmen, die Löhne zu drücken. Die Arbeitgebenden hätten nämlich meist genügend finanziellen Spielraum, um auf die Forderungen der Arbeitnehmenden bei der Einstellung oder später im Laufe der Anstellung einzugehen. Normalerweise zahlen die Arbeitgebenden aber nicht mehr als nötig. Wenn die Arbeitnehmenden schlecht informiert sind und deshalb zu wenig verlangen, bleiben sie auf zu niedrigen Löhnen sitzen.
Die fehlende Transparenz ist auch eine Ursache für Lohndiskriminierung. Wären die Löhne allen bekannt, würden willkürliche Unterschiede nicht nur offengelegt, sondern auch kaum noch zu rechtfertigen sein. Auch ohne vollständige Transparenz würden bessere Informationen Frauen dabei helfen, den Lohn einzufordern, den sie eigentlich verdienen. Umgekehrt würde es Arbeitgebenden schwerer fallen, nur Männern mit hohen Gehaltsvorstellungen die angemessenen Löhne zu zahlen.
Wissen, was einem zusteht!
Mit dem Lohnrechner können Arbeitnehmende Gegensteuer geben. Der Lohnrechner ermöglicht es, die üblichen Löhne für das eigene Profil - Beruf, Qualifikationen, Branche, Ort - zu berechnen und somit zu erfahren, was einem zusteht. Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) betreibt den Lohnrechner bereits seit 2004 und hat ihn nun von Grund auf überarbeitet. Die Seite ist nicht nur benutzerfreundlicher geworden, sondern macht dank maschinellem Lernen auch genauere Lohnempfehlungen. Nach wie vor verwendet der Lohnrechner die repräsentativen Daten der Lohnstrukturerhebung des Bundesamts für Statistik, in der 2.3 Millionen Löhne aus 35'000 Unternehmen erfasst sind.
Mit dem Lohnrechner können Arbeitnehmende besser informiert in Lohnverhandlungen treten. Ein Lohnvergleich bietet sich auch an, um herauszufinden, ob man korrekt bezahlt wird. Liegt der Lohn zu niedrig, sollte dies Anlass sein, das Gespräch mit der Vorgesetzten zu suchen. Es lohnt sich aber auch, weitere Abklärungen zu treffen. Dazu gehört, den eigenen Lohn mit den Kolleginnen und Kollegen zu vergleichen. Es kann auch hilfreich sein, sich auf andere Stellen zu bewerben – selbst wenn es letztlich nur darum geht, der Vorgesetzten aufzuzeigen, wie viel mehr man in einem anderen Betrieb verdienen könnte.
Kollektiv verhandelt es sich besser
Wer gut informiert ist, kann einen besseren Lohn verhandeln. Dennoch werden auch gut informierte Arbeitnehmende gegeneinander ausgespielt. Normalverdienende erhalten die besseren Löhne, wenn sie sich in Gewerkschaften zusammenschliessen und gemeinsam die Löhne verhandeln. Kollektiv ausgehandelte Löhne sind nicht nur höher, sondern auch weniger diskriminierend: Wenn Arbeitgeber sich an Mindestlöhne in Gesamtarbeitsverträgen (GAV) oder an transparente Lohnsysteme halten müssen, gibt es weniger Spielraum, Arbeitnehmenden mit der gleichen Funktion und Qualifikation ungleiche Löhne zu zahlen. Der Lohnrechner informiert aus diesem Grund neu immer auch über die geltenden GAV-Mindestlöhne.
David Gallusser, SGB-Zentralsekretär für Ökonomie