Fehlurteile und Angriffe im Parlament

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Gewerkschaftliche Gedanken zu den Angriffen auf die Mindestlöhne

Das Zürcher Verwaltungsgericht hat im Dezember die kantonalen Verordnungen zur Einführung eines Mindestlohns aufgehoben. Kommunale Mindestlöhne seien nicht mit kantonalem Recht vereinbar, so die Begründung. Dabei erlaubt die Bundesrechtsprechung den Kantonen in gewissen Grenzen, Mindestlöhne als sozialpolitische Massnahme einzuführen.

Zwei Rechtsgutachten renommierter Professoren der Universität Zürich und der HSG, der Zürcher Regierungsrat und die erstinstanzliche Verwaltungsrechtspflege-Instanz hatten dieses Recht noch bejaht. Doch das Verwaltungsgericht hat entschieden: Zürcher Gemeinden dürfen keine Mindestlöhne erlassen, um Working Poor zu verhindern. Im Widerspruch zu einem wegweisenden Bundesgerichtsentscheid von 2017, der diese Möglichkeit ausdrücklich zulässt.

Entsprechend knapp hat das Verwaltungsgericht auch mehrheitlich entschieden, samt publizierter «Dissenting Opinion» der RichterInnen, die der Auffassung sind, dass die kommunalen Mindestlöhne rechtens sind. Das Urteil stellt einen Angriff auf die in der Schweizer Rechtsordnung hochgehaltene Gemeindefreiheit bzw. Gemeindeautonomie dar und ist daher klar als Fehlurteil zu bezeichnen. Es ist zu erwarten, dass das Bundesgericht diesen Entscheid korrigieren wird.

Doch der Kampf um existenzsichernde Löhne wird nicht nur vor Gericht geführt. Eine knappe Mehrheit im Bundesparlament will den Kantonen (und damit auch den Kommunen wie Zürich oder Winterthur) den Erlass gesetzlicher Mindestlöhne in bestimmten Fällen verbieten: Mit selten dagewesenem Zynismus führen Ständerat Erich Ettlin (Mitte/OW), GastroSuisse und eine knappe Parlamentsmehrheit diesen Angriff auf die Mindestlöhne und wollen dabei kantonale Volksentscheide und Gesetze aushebeln. Kantonale (und damit auch kommunale) Mindestlöhne sollen nicht mehr gelten, sobald ein allgemeinverbindlicher Gesamtarbeitsvertrag tiefere Löhne vorsieht.

In der Konsequenz könnten so wieder Working Poor entstehen, Menschen die trotz Vollzeiterwerb nicht vom Lohn leben können. Gerade in Genf und Neuenburg, die bereits kantonale Mindestlöhne kennen, aber auch Hochpreisregionen wie Zürich und Winterthur, wäre ein Leben ohne Sozialhilfe bei Vollzeitarbeit unter dem gesetzlichen Mindestlohn nicht möglich. Die Steuerzahler:innen dieser Kantone müssten letztlich diese Tiefstlöhne bezuschussen – obwohl sie sich klar für Mindestlöhne ausgesprochen haben, um genau das zu verhindern. 

In der Vernehmlassung fiel das Urteil zur Vorlage «Ettlin» vernichtend aus: Die Volkswirtschaftsdirektorenkonferenz (VDK), der Städteverband, Verfassungsexpert:innen, das Bundesamt für Justiz und der Bundesrat lehnen sie samt und sonders ab. Sie argumentieren, dass die Vorlage gegen die Verfassung verstosse, den Föderalismus ausheble und das Subsidiaritätsprinzip verletze. Selbst Arbeitgeberverbände in der Romandie, wie das Centre Patronal und die FER, lehnen die Vorlage ab. Die FER fordert sogar ein Referendum, sollte das Parlament sie annehmen – die Unterschriften sollen aber bitte Gewerkschaften und linke Parteien sammeln. 

Es ist klar: Weder Gewerkschaften, noch Kantone, Bundesrat oder progressive Parteien wollen Working Poor. Und sie wollen auch keine Verletzung der Verfassungsordnung. Der Föderalismus und der kantonale Volkswille dürfen nicht geopfert werden, nur weil einige Arbeitgeber wie GastroSuisse offenbar Tiefstlöhne zahlen und diese von der Allgemeinheit aufstocken lassen wollen. 

Das Parlament muss die Vorlage «Ettlin» konsequent ablehnen. Gleichzeitig muss das Bundesgericht das Fehlurteil des Zürcher Verwaltungsgerichts korrigieren. Gesetzliche Mindestlöhne in der Schweiz sind ein wichtiges Instrument gegen Armut – und ein Ausdruck von sozialer Verantwortung, Föderalismus und Gemeindeautonomie.

Luca Cirigliano – SGB-Zentralsekretär für Arbeitsrecht 

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