Dem Frauen*streik 2019 ist gelungen, die noch immer massiven Benachteiligungen der Frauen in der ganzen Schweiz aufzuzeigen und dafür die Augen zu öffnen. Über eine halbe Million Frauen forderten mehr Lohn, mehr Zeit und Respekt. Doch anstatt auf diese Grossmobilisierung zu hören, passiert im Moment gerade das Gegenteil.
Bei den Löhnen, aber noch deutlicher bei den Renten, liegt weiter vieles im Argen. Frauen bekommen in der Schweiz mindestens einen Drittel weniger Rente als Männer. Dies bildet die ungleiche Verteilung der Erwerbschancen zwischen den Geschlechtern ab. Denn Frauen übernehmen mehrheitlich Arbeiten in anstrengenden – aber schlechter bezahlten – Berufen wie der Reinigung und dem Verkauf, der Betreuung, der Gesundheit und der Pflege. Und es sind die Frauen, welche sich um Kinder, Enkelkinder, die alternden (Schwieger-)Eltern und kranke Angehörige kümmern. Die Folgen sind Teilzeitpensen – vier von fünf Frauen mit Kindern arbeiten heute Teilzeit – und tiefere Einkommen. Insgesamt ist das Einkommen der Frauen ganze 33 Prozent tiefer als jenes der Männer. Obwohl sie, unbezahlte und bezahlte Arbeit zusammengezählt, gleich viele Stunden arbeiten.
Konsequenz: Die Arbeit vieler Frauen führt heute zu unwürdig tiefen Renten. Trotzdem sollen ausgerechnet die Frauen für AHV 21 bezahlen. Damit würden sie in Zukunft ein Jahr AHV-Rente verlieren – das bedeutet rund 26’000 Franken weniger Einkommen. Auch Ehepaare sind betroffen. Das ist fatal, denn Frauen können sich im Alter nur auf die AHV verlassen. Alleine in den nächsten zehn Jahren sollen ihre Renten um sieben Milliarden Franken gekürzt werden. Und das ist nur der erste Schritt: Rentenalter 67 für alle steht schon auf dem Programm. Doch nicht nur mehr Einkommen, auch mehr Zeit und Respekt wird den Frauen mit dieser Reform einmal mehr verwehrt.
Begründet wird dieser Abbau mit der finanziellen «Notlage» der AHV. Das hat System. Milliardendefizite in der AHV prognostizierte der Bund bereits in den 2000er-Jahren. Die Angstszenarien haben sich bisher nicht bewahrheitet. Die AHV schloss sogar die schwierigen Corona-Jahre 2021 mit einem Plus von rund zwei Milliarden Franken ab. Sie hat heute ein Vermögen von fast 50 Milliarden Franken, und dieses wird in den nächsten fünf Jahren sogar noch zunehmen.
Warum geht es der AHV besser als immer wieder gesagt wird? Dafür gibt es drei Erklärungen: Fehler in den Prognosen, wirtschaftliche Eigeninteressen der Prognostiker und die Bereitschaft von PolitikerInnen, die Probleme der AHV zu lösen, wenn es nötig ist.
So kam die AHV zwischen 1975 und 2020 ohne Erhöhung der Lohnbeiträge aus – obwohl sich die Zahl der RentnerInnen im gleichen Zeitraum mehr als verdoppelt hat. Dies ist möglich, weil wir nicht nur älter, sondern auch produktiver werden. Heute erarbeitet eine Beschäftigte pro Stunde durchschnittlich dreimal mehr als 1948. Seit 2020 erhält die AHV jährlich zusätzliche zwei Milliarden Franken. Damit ist sie auch für die nächsten Jahre solid finanziert.
Vor wenigen Tagen hat der Bund die Finanzszenarien für die AHV angepasst – sie fallen nun 2030 substanziell besser aus, als noch vor wenigen Monaten vorhergesagt. Auch die Banken und Versicherungen schüren – mittlerweile seit Jahrzehnten – gezielt die Angst mit rabenschwarzen AHV-Prognosen. Weil sich dann mehr Personen überlegen, selber mehr für das Alter zu sparen und das Geld bei ihnen anzulegen, z. B. mit 3. Säule-Produkten. Damit können sie Geschäfte machen. Mit der AHV verdienen sie nichts.
Angesichts dieser Ausgangslage ist für uns klar: Am 14. Juni gehen wir für echte Gleichstellung auf die Strasse. Für höhere Löhne statt höherem Rentenalter. Und gegen den AHV-Abbau auf Kosten der Frauen, gegen AHV 21.
Gabriela Medici, stv. Sekretariatsleiterin Schweizerischer Gewerkschaftsbund (SGB)